Vor gut 30 Jahren kam Manfred in Begleitung des legendären, kurz vor Erreichen des Rentenalters hinter seiner Bar in San Sebastian tot umgefallenen, “Linsenhein”, nach Gomera. Gemeinsam hatte sie Capitano Claudio an Bord seiner Yacht “Triana” hergebracht.
Hoch oben im Cedro wollten sie eine alte Finca zum “Wirtshaus im Cedro” umbauen, aber bald trennten sich ihre Wege. Manfred behauptete, der Hein hätte ihn auf der Baustelle ohne Bezahlung schuften lassen wollen; Hein hingegen meinte, der Manfred hätte hauptberuflich nur (auf Heins Kosten) gesoffen, und die einzige Arbeit, die er dort geleistet habe, sei der gelegentliche Transport einer Kiste Bier gewesen, die er dann auch noch zum größten Teil selbst ausgesoffen hätte. Wie dem auch gewesen sein mochte: Dass Manfred jegliche Form von “Arbeit” von ganzem Herzen verabscheute wurde spätestens klar, als er sich im Hafen von Valle Gran Rey hauptberuflich vor die “Cofradia de los Pescadores” begab und das Volk mit philosophischen Weisheiten in Erstaunen versetzte.
Er besaß keinerlei Papiere. Keinen Pass, keinen Ausweis, keinen Führerschein. Brauchte er alles nicht. Er hatte auch kein Geld. Er schlief im Hafen unter umgekippten Booten oder den Stufen der Treppe zum Strand. “Appartement? Brauche ich nicht. Außerdem würde das Geld kosten, und ich müsste dann dafür arbeiten.
Bin ich blöd? Schlaf ich doch lieber auf der Straße. Es wird ja nie richtig kalt auf Gomera”.
“Mein Vorbild ist der griechische Philosoph Diogenes”, predigte er. “Der hauste in einem leeren Fass, und dessen Lehre war es, dass richtig glücklich nur der sein kann, der sich erstens von überflüssigen Bedürfnissen freimacht und zweitens unabhängig von äußeren Zwängen ist. Diogenes sagt:
„Es ist göttlich, nichts zu bedürfen, und gottähnlich, nur wenig nötig zu haben.“
Unter dem Namen “Hannimanni” wurde er im Laufe der Jahre weit über Gomeras Grenzen hinaus bekannt. Touristen ließen sich mit ihm fotografieren, Frauen machten ihm schöne Augen, und immer wieder bot man ihm Arbeit oder Unterkunft an. Hannimanni lehnte das alles dankend ab. Er hielt es streng mit Diogenes und blieb auf der Straße. Allerdings hatte seine Bedürfnislosigkeit Grenzen.
Es ist nicht überliefert, ob auch Diogenes unter Durst litt. Wahrscheinlich nicht, denn als ihn Kaiser Alexander der Große einmal besuchte und ihn fragte, ob er irgendeinen Wunsch hätte, da antwortete Diogenes: “Ja. Geh mir aus der Sonne”. So bedürfnislos war unser Hannimanni dann leider doch nicht. Er litt unter einem schier unlöschbaren Durst. Es setzte alle Welt in Erstaunen, wie viel Bier in einen österreichischen Philosophen täglich hineinpasste. Und die Touristen wurden auch nicht müde, ihm regelmäßig die Kehle zu befeuchten, damit er weiter von Diogenes erzählen konnte. “Wer mir gibt, den liebe ich. Wer nix gibt, den verachte ich. Und wer mir etwas nehmen will, den beiße ich”, zitierte er sein Vorbild.
“Stell dir vor, ich hätte abends 100 Euro in der Tasche und würde nachts sterben. Ich würde doch niemals die ewige Ruhe finden”, erzählte er einmal. Und das war kein Spruch. Hannimanni musste sich nie Sorgen machen, nachts überfallen und ausgeraubt zu werden. Bei ihm gab es einfach nichts zu holen.
So schlief er jede Nacht ruhig und friedlich, hatte keine Sorgen und belächelte nur all die Emsigen und Fleißigen und Erfolgreichen, die sich unruhig in ihren Federbetten wälzten, weil der DAX mal wieder im Keller war oder die Hypothekenzinsen wieder stiegen.
Um 5 Uhr früh machte die Cofradia auf. Dann saß Hannimanni dort bereits vor der Tür und wartete darauf, dass ihm jemand einen ersten Flaschenkaffee ausgab. Den ganzen Tag über philosophierte er dann den Touristen was vor, woraufhin er so viele mildtätige Spenden erhielt, dass er meist schon vor Einbruch der Nacht sternhagelvoll war. Dann wurde er laut. Dann mandelte er sich auf und pöbelte rum, und der Wirt musste ihn rausschmeißen, weil er ihm sonst alle Gäste vergrault hätte.
“Hannimanni” zuckte nur mit den Schultern. Setzte er sich halt vor den “Rincon del Marinero” und hielt dort Hof. Eine zeitlang jedenfalls. Dann flog er auch dort raus. Und als er eines Tages in allen Kneipen Hausverbot hatte, da suchte er sich eine alte Matratze und wohnte fortan auf dem Parkplatz. Und weil es dort kein kaltes Bier gab, stieg er auf billigen Wein um. Den spendeten ihm die Touris, und wenn er davon zwei bis drei Flaschen intus hatte, dann fiel er auf seiner Matratze einfach um und schlief ein.
Da er inzwischen in keiner Kneipe mehr aufs Klo durfte, pinkelte er in die zuvor geleerten Weinflaschen und stellte sie dann dekorativ neben sein “Bett”, wobei er diese Flaschen dann sorgfältig von den anderen getrennt hielt, nachdem er eines Nachts im Duhn mal die falsche Flasche an den Hals gesetzt hatte.
Seine festen Fäkalien entsorgte er in Plastiktüten aus dem Supermarkt, die er ebenfalls um sein Lager herum stapelte. Das Zeug anschließend zum Müllcontainer zu bringen war ihm zu viel “Äktschen”.
Nach einer gewissen Zeit erhob er sich dann gar nicht mehr von seinem Lager. Angeblich hatte Diogenes mit fortschreitendem Alter das auch nicht mehr getan. Aber wahrscheinlich hatte Diogenes auch nicht diesen stechenden Duft eines mexikanischen Waldesels verströmt, mit dem Hannimanni bald selbst seine besten Freunde auf Distanz hielt.
Nun ist er weg, der Hannimanni. Liebevoll verabschiedet von der Sozialfürsorge unseres Ayuntamientos. Ob es dem österreichischen Konsulat gelingt, ihn eines Tages wieder dauerhaft in seiner verschneite Heimat anzusiedeln, ist ungewiss.
Vielen auf unserer Bananeninsel aber wird er fehlen. Schließlich war er einer der letzten Protagonisten jener Zeit, in der Gomera noch den zweifelhaften Ruf einer “Insel der Beknackten” hatte.