Greisverkehr auf La Gomera

VB 84Na, Gott sei Dank. Endlich haben auch all die pensionierten Ottos zwischen Garmisch und Großburgwedel die Reize unserer kleinen Bananeninsel für sich entdeckt. Nix mehr Mallorca. Nix mehr Teneriffa. Gomera heißt das neue Schnabeltässler-Paradies. Kann man jetzt überall buchen. Bei Tchibo, bei Lidl (gleich neben dem Rattengift) und überall, wo Geiz so richtig geil ist. Bei diesen Preisen muss man reisen. Und so bevölkert inzwischen eine neue Spezies von Qualitätstouristen die Bänke an unseren gepflegten Strandpromenaden und genießt die kanarische Sonne. Die gibt es bei uns nämlich kostenlos. Prima. Die Eingeborenen sind schwer begeistert. Endlich mal Touristen, die nachts nicht rauchend vor den Kneipen rumstehen und Radau machen und sich auch noch lautstark darüber beschweren, dass Live-Musik verboten ist. Endlich mal ruhige, seriöse Gäste, die keine Kacktustrommeln an den Strand schleppen, nicht auf dem Didgeridoo blasen und auch nicht andauernd in die Vorgärten kacken. Unsere Best-Agers. Die neuen Qualitätstouristen um die uns inzwischen die ganze Welt beneidet. Die schleppen nachts keine fremden Weiber auf die Bude, die die halbe Nacht über Zalando-Pakete auf-machen. Endlich können abends pünktlich die Bürgersteige hochgeklappt werden. Unsere neuen Gäste bestaunen nach Einbruch der Dunkelheit höchstens noch den Mond über dem Meer. Eine umweltfreundliche, nachhaltige und absolut geräuscharme Tätigkeit. Und völlig kostenlos.
Die neuen Qualitätstouristen schnorren niemanden um ein Bier an. Die hocken auch nicht zerlumpt am Straßenrand und fragen, ob man nicht vielleicht einen Euro für sie hätte. Die haben ihre Rente durch und schrecken allenfalls auf, wenn sie in der Bild-Zeitung mal wieder von drohender Altersarmut in Deutschland lesen – einem Menetekel, das von deutschen Politikern immer wieder gern auf die Bildschirme gemalt wird.
Zwar entpuppt sich das – bei näherer Betrachtung – wohl eher als Werbehilfe für die deutsche Versicherungsindustrie und als kalkuliertes Wahlkampfgeklapper, aber es reicht doch aus, um unseren urlaubenden Schnabeltässlern den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Dann sparen sie sich vorsichtshalber den Restaurant-Besuch und drängeln lieber an der Kasse vom Sparmarkt.
Während die Erben in der Heimat ungeduldig darauf warten, dass der Alte endlich den Löffel weglegt, schnüren dem Finanzkrise und Inflationsangst sogar in den Ferien noch zusätzlich die Kehle zu. Das schöne Geld. Lebenslänglich mit Steuersparprogrammen und Abschreibungsobjekten gehortet, droht es jetzt von nichtsnutzigen Griechen und hinterhältigen Zyprioten schleichend entwertet zu werden.
Kein Wunder, dass sich da so mancher rüstige Schnabeltässler während seines Gomera-Urlaubs fragt, ob er seine lauernden, nichtsnutzigen Erben nicht besser einfach kaltschnäuzig zum Sozialamt schicken und sein Erspartes lieber selber auf den Kopf hauen soll, solange er noch selbst den Hammer heben kann. Ist doch leicht nachvollziehbar, oder was?
Schnabeltässler ist keine Frage des Alters. Es ist eine genetisch bedingte Veranlagung. Ein Gendefekt sozusagen. So was Ähnliches wie das Methusalemgen (siehe Valle-Bote Nr. 79). Man wird als Greis geboren – quasi mit der Schnabeltasse im Mund. Man leidet schon als Kind unter der unendlichen Weite seines Laufstalls, hält Heino für einen Rockstar, den Papst für unfehlbar und kannte spätestens mit 18 schon seine späteren Rentenansprüche bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma. Das kommt einem heute zugute.
Nun gibt es unter unseren betagten Gästen, den „Silberrücken“ wie sich gern nennen lassen, aber auch immer wieder solche, die – wie damals die Hippies – plötzlich vom Inselvirus befallen werden und einfach keinen Bock mehr darauf haben, in der kalten Heimat Schnee zu schippen. Die Rente wird ja – wie damals die Sozi der Hippies – problemlos auch nach Gomera überwiesen. Muss man nur einen entsprechenden formlosen Antrag stellen. So braucht man keinen Überziehungskredit und kann sein Rückflugticket sorglos in die Tonne treten, was ja recht praktisch ist. Dann treffen diese Spätaussteiger und Grünschnabeltässler hier auf die Hippies von damals. Die sind inzwischen auch alle um die 80 und erfreuen sich – sofern ihre Leber es noch mitmacht – allerbester Gesundheit, weil sie nämlich statt der Apotheken-Umschau lieber den Valle-Boten lesen. Der ist ja auch viel lustiger.
Und weil auch die einfach hiergebliebenen Alten fürderhin besonders gesund leben, nur nacktfußgepressten Gomerawein trinken, nur handgeangelten gomerianischen Pangasius oder Nilbarsch essen und nur Biogras aus insularem, absolut kontrolliertem Kapaiken-Anbau rauchen, darum werden sie hier dann auch alle 120 Jahre alt. Bei bester Gesundheit. Anschließend werden sie auf Kosten der Inselregierung obendrein auch noch mit unverbaubarem Meerblick zum absoluten Nulltarif luftgetrocknet, statt für teuer Geld im muffigen Boden des städtischen Friedhofs in Frankfurt an der Oder verbuddelt zu werden. Kommt doch mancher ins Grübeln. Und so sind uns die Schnabeltässler nicht nur als Qualitätstouristen, sondern auch als Spätresidenten für den Rest ihrer Tage hochwillkommen. Die Rente ist zwar nicht sicher, aber gemessen an dem, was sie im stinkigen Altersheim an der Luhe abdrücken müssen, können sie auf Gomera locker die Kuh fliegen lassen. Und zwar jede Nacht.