Eine Reise mit der transsibirischen Eisenbahn

Vom Valle nach Wladiwostok
Manchmal reißt es den klimaflüchtigen Neugomerianer unter seiner Palme. Dann gehen ihm Sonne, Meer und Ewiger Frühling ganz unheimlich auf den Zünder. Dann will er endlich mal wieder Schnee sehen. Und zugefrorene Tropfnasen unter dicken Pelzmützen. Was macht er dann? Er steigt in Moskau am Jaroslawer Bahnhof in die transsibirische Eisenbahn und geht auf die große Reise.
Jenseits des Urals, wo in der Taiga noch die Wölfe heulen und an den Eislöchern im Baikalsee die eingemummelten Angler sitzen, da findet er den richtigen Winter, den knackigen.
Tag und Nacht ruckelt er in seinem zugigen Abteil – eingepfercht zwischen Babuschka und Wodkafahne – durch die eisige Winterlandschaft und lässt die schneeverwehte Einsamkeit hinter den Eiskristallen des zugefrorenen Zugfensters im Eiltempo an sich vorüberziehen. Toll. Genauso hatte er sich das vorgestellt.
In Jekaterinenburg steigt er aus und betrachtet die Zwiebeltürme der „Kathedrale im Namen aller Heiligen Russlands“. Der Pope spendet mit gefrierendem Atem den Christopherus-Segen.
Der Troikakutscher lässt die Peitsche knallen. Im wirbelnden Schneegestöber kuschelt sich der Reisende in seinen Zobel und zieht sich die Pelzmütze über die Ohren. Ganz schön kalt. An der Triefnase bilden sich kleine Eiszapfen.
Dann Nowosibirsk. Ein ganzes Heer filzstiefeliger Steppjacken drängelt über den Markt. Es gibt heißen Tee und heiße Maronen. Das hilft bei 40 Grad unter Null. Kann man anschließend problemlos mit der Straßenbahn bis in die Neubauviertel am Stadtrand fahren. Graue Plattenbauten bis hinauf in den weißen Himmel. Graue, stockwerkweise kasernierte Arbeiterfamilien.
Irkutsk. Der Lada hat die Schneeketten aufgezogen. Es geht vorbei an den Baracken des Gulag. Bergwerke und Ölbohrtürme. Alles weiß – so weit das tränende Auge reicht.
Dann ist man am Ziel seiner Reise angekommen. Wladiwostok. Am Ende der Welt. Jetzt hat man genug Schnee und Eis gesehen. Jetzt kennt man Sibirien. Jetzt kann man beruhigt den Fernseher wieder ausschalten und sich wohlig im Schatten seiner Palme ein frisches Bier aufmachen. Die Lungenentzündung hat sich ja der Kameramann geholt, die arme Sau.